28.05.07

Da kannste im Zirkus treten, verdammte Scheiße!


Iyi günler und merhaba!

Wer für knapp 40 Minuten Spielzeit mehrere Stunden Reisezeit, runde 250 Euro Kosten sowie literweise Angstschweiß in Kauf nimmt, der muss schon ordentlich einen am Helm haben.

Mitnichten, denn was wir im Rahmen unseres Gigs in der türkischen Hauptstadt Istanbul alles erleben durfte, ist diesen Preis mehr als wert. Freitag abend verschleppte uns der ICE von KS-Wilhelmshöhe nach Hannover. Eine S-Bahn-Fahrt, zwei Stunden Check-In und drei Stunden Flug später saßen wir plötzlich morgens um halb vier mitten auf dem Flughafen Sabiha Gökçen, mit vor Druck dröhnendem Schädel und einem Verstand voller Neugier. Konzertveranstalter Gökhan trafen wir bereits am Flughafen - das erste Kennenlernen wurde jedoch von der ersten türkischen Taxifahrt mit Durchschnittstempo 130 (auch auf Ausfahrten, rückwärtsfahrenden Gegenverkehr nicht eingerechnet) eindeutig übertönt. Mit kochendem Adrenalinspiegel fanden wir uns schließlich mitten im asiatischen Istanbul in der Wohnung des Großvaters eines Menschen wieder, den wir noch nie gesehen hatten - und dennoch gab es für uns nachts um 04:00 noch türkischen Tee und bequeme Schlafplätze. Kopfkino pur.

Die Reise zum eigentlichen Veranstaltungsort im europäischen Teil der Stadt vollzog sich mit Straßenbahn und Schiff recht variabel, umrahmt von Eindrücken der lebendigen Innenstadt und dem Anblick des Bosporus. Um unser Hotel zu erreichen, galt es erneut eine Taxifahrt zu überstehen. Unsere Zimmer waren noch durch die Jungs von ANCIENT EXISTENCE belegt, weshalb wir zunächst das Equipment lagerten, um uns das "Dorock", den Ort der bevorstehenden Show, näher anzusehen. Einen solch kultiger Schuppen, der den Metal unbeeindruckt in die gesamte Kneipenmeile ballerte, hatte man in Deutschland bisher vergebens gesucht. So konnte also staunenden Herzens das erste Bier eingenommen werden, aus dem dann schnell das vierte und fünfte wurde. Das Mittagessen aus gebratenem Huhn und Nudeln in Erbsenform kam da gerade recht. Nicht mehr lange, und schon nahmen die Vorbereitungen zum Soundcheck Form an. Für uns hieß das lediglich Merch vorbereiten, und weitere Flüssigbrote einwerfen ^^ Ein ku

rzes Flanieren über die Einkaufsmeile ließ heruntergeklappte Kinnladen zurück, während das sich stets füllende "Dorock" Lust auf mehr machte.

Und so wurden gegen 22:45 MY COLD EMBRACE auf das (fast) nichtsahnende türkische Publikum losgelassen. Hell of a show! Schieben wir unsere spielerischen Unzulänglichkeiten mal beiseite, so war der Stempel, den wir Istanbul aufzudrückten, doch äußerst wirkungsvoll. Nach knapp 40 Minuten waren mal wieder 4/5 der Band shirtmäßig entblößt, und der Kreislauf vollkommen überfordert. Die Zugabe blieb zwar aus, aber die freundlichen Lobes- und Dankesworte unzähliger Anwesender entschädigten dafür. Und so war der anschließende Abend mit seinen interessanten Gesprächen von Fan zu Fan fast schöner als das Konzert selbst und räumte mit der großen Schaufel mit allen türkischen Klischees auf. Die Universalsprache Metal funktioniert auch hier, und die Gastfreundschaft dieser Stadt und dieses Landes ist beeindruckend. Das zeigte sich nach einer (mehr oder minder) durchzechten Nacht auch am Sonntag.

Da wir den zweiten Gig in Konya aus Stressgründen (insg. 20 Stunden Busfahrt - no way!) gecancelt hatten, konnten wir den zweiten Tag nutzen, um Istanbul in seiner Gesamtheit noch etwas besser aufzusaugen. Unter der sympathischen Führung von Gökhans Freunden Sonay und Ulas ging es per pedes quer durch die insg. 100 km umspannende Millionenstadt. Vorbei an Palästen, Moscheen über touristenbelastete Märkte bis in dichte Wälder hinein prasselten in diesen gut 5 Stunden mehr Eindrücke auf uns ein, als man in so einer kurzen Zeit eigentlich verarbeiten kann. Schwer begeisert traten wir schließlich die letzte abenteuerliche Etappe an: den Heimweg.

Der Plan war gut: Mit der Metro bis zum Bus, mit dem Bus bis zum Flughafen und ab nach Hause. Soweit zur Theorie, wobei die Fahrt in der noch nagelneuen U-Bahn auch noch glatt ging. Im Hellen hatten wir die Katakomben betreten, im Dunkeln verließen wir sie, mitten hinein ins Bankenviertel der Stadt. Hier erwartete uns eigentlich ein Bus, doch erstens wussten wir nicht wo und zweitens wurde die Zeit knapp. Die Haltestelle fanden wir auf die Minute genau, doch nach einer halben Stunde Wartezeit gaben wir den Bus langsam auf. Unsere Misere wurde publik, und so waren wir minutenspäter von drei Taxifahrern umringt, die mit Ulas versuchten eine Lösung zu finden. Letztlich quetschten wir uns mit fünf Personen plus Fahrer, drei Gitarrenkoffern, 4 Reisetaschen und 5 Rücksäcken in Taxi Größe VW Jetta, und schmirgelten begleitet von Evanescence und einheimischeren Klängen zurück nach Asien. Die Vernichtung einer Flasche Whiskey bei einer lustigen Runde "Drecksau" (Kartenspielpreis 6 Eu

ro...) machte uns dann endgültig zur Attraktion des Flughafens, bevor uns metallene Flügel schließlich gen Heimat trugen... Kopfkino pur.

Görüsürüz Istanbul, and take care!

MY CÖLD EMBRACE